Von Null auf Craft Beer in 24 Tagen

 

Zum Craftbeer pflege ich eher ein gespaltenes Verhältnis: die Idee, ungewöhnliche Biere in handwerklich erstklassiger Qualität zu brauen, finde ich großartig. Aber leider wollten mir die wenigen Exemplare, die ich bisher probiert habe, nicht so recht schmecken. Der Grund ist mir leider wohlbekannt: Mein Magen und Gaumen hängen evolutionstechnisch meinem Hirn weit hinterher. Während letzteres (zum Glück!) in der modernen Zivilisation angekommen ist, stecken erstere noch irgendwo im Neolithikum fest. Ein geborener Gourmet bin ich damit schon mal nicht. Aber was die Natur verpasst hat, einem frei Haus mitzugeben, kann man sich auch antrainieren. Bestes Beispiel Sushi: Ich liebe Sushi, doch diese Liebe musste ich mir in einem langwierigen Annährungsprozess hart erkämpfen. Gelohnt hat es sich jedoch: Heute spricht mein Geschmackssinn quasi fließend Sushi. Und wenn er das gelernt hat, dann kann er sich auch Craft Beer draufschaffen.

Als Trainingsmittel habe ich mir einen Adventskalender mit 24 verschiedenen Craft-Beer-Sorten zugelegt. Der Tipp dazu kam von meiner Kollegin Julia, die sich ebenfalls einen Bierkalender, wenn auch mit traditionellerem Inhalt, zugelegt hat. Praktisch: Auf diese Weise haben wir den ganzen Advent hindurch ein Thema zum Fachsimpeln. Und weil wir beide schon länger keinen Blog-Artikel mehr geschrieben haben, lag es nahe, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. (Ich hoffe, das Finanzamt sieht das ähnlich und rechnet mir meinen Kalender bei der Steuer an!)

Bei der Handhabung meines Kalenders gehe ich nicht ganz vorschriftsmäßig vor. Zwar öffne ich jeden Tag ein Türchen, der Inhalt wird aber nicht an Ort und Stelle ausgetrunken, sondern erst mal gesammelt. Doch allein das macht schon einen Heidenspaß. Denn was mein Kalender so alles an knallbunten Etiketten und witzigen Markennamen zutage fördert, hat wenig mit dem zu tun, was man sonst so im Supermarktregal findet. Da ich mich ohnehin nicht auskenne, greife ich mir für die erste Trainings-Session einfach blind vier der bisher gesammelten Biere heraus. Beim Probieren selbst unterstützen mich mein Freund Bobby und Oliver Wesseloh. Letzterer leider nicht in Person, sondern nur im Form seines Buchs „Bier leben“. Aber immerhin.

Bier Nr. 1: Op & Top von der Brewerij de Molen

Erste Überraschung: ich bin davon ausgegangen, keine der Brauereien zu kennen. Doch die Brewerij de Molen ist eine alte Bekannte. Oder zumindest ihr Logo, das trägt Bobby nämlich regelmäßig auf einem seiner Lieblingsshirts spazieren. Erstanden hat er es auf der Braukunst in München. Wenn ich mich recht erinnere, hatte das aber weniger mit dem Bier zu tun als vielmehr mit den beiden lustigen Typen, die hinter dem De-Molen-Tresen standen. Mal sehen, ob das Bier die Gratiswerbung tatsächlich verdient.

Aus Oliver Wesselohs Buch weiß ich ungefähr, was zu tun ist. Der echte Kenner beurteilt Bier in fünf Schritten: einschenken, riechen, gucken, riechen, schmecken – wobei das erste Riechen sehr schnell gehen muss, damit man auch die flüchtigen Aromen noch einfängt. Das Einschenken bekommen wir noch ganz gut hin. Beim Gucken und Riechen erleben wir schon unseren ersten Rückschlag: Uns fehlt das Vokabular, um zu beschreiben, was wir da so erleben. Die Farbe verorten wir ganz präzise „zwischen alkoholfreiem Weizen und Bernstein“. Beim Geruch einigen wir uns auf „vielschichtig“ – ein bisschen duftet das Bier nach Zitrusfrüchten, ein bisschen nach frisch geschnittenem Gras und ganz viel nach „sehr angenehm, aber ich weiß nicht, was es ist“. Ähnlich differenziert geht es beim Geschmack weiter. Auf den ersten Schluck haut es uns fast um, wie bitter das Bier ist. Für „Baustellenbier“-Trinker wie uns ein echter Schock – doch erstaunlicherweise kein unangenehmer! Beim zweiten, dritten und vierten Schluck fällt uns dann auf, dass da auch noch andere Geschmacksnoten im Spiel sind. Eine nahezu dramaturgische Erfahrung: Erst kommt der bittere Hammer, danach die blumig-fruchtige Belohnung.

Bier Nr. 2: Victoria von Birrificio del Ducato

Laut Etikett ist das Victoria ein „light IPA“ mit nur 3,5 Vol.-% Alkohol. Außerdem lese ich, dass es „with gentle hops and lots of love“ gebraut wurde. Ein lobenswertes Unterfangen. Es gibt ohnehin zu wenig Liebe auf der Welt. Sie in Flaschen abgefüllt unters Volk zu bringen, kann auf keinen Fall schaden. Obwohl ich das Bier ruhig-stehend gelagert habe, sprudelt es meinem Freund beim Öffnen gleich aus der Flasche entgegen. Das macht wohl die viele Liebe. Nach dem Einschenken bewundern wir zuerst andächtig den Schaum, der dick und stabil auf dem Bier thront. Eine Schaumkrone, die ihren Namen völlig zu recht trägt. Beim Probieren sind wir beide gleichermaßen überrascht, wie eingängig das Bier schmeckt: Die für IPAs typische Bittere ist zwar klar vorhanden, aber sie hält sich dezent zurück. Mein Urteil: ein perfektes IPA für Einsteiger!

Bier Nr. 3: Lebenskünstler Witbier von Raschhofer

Das Lebenskünstler Witbier schimmert uns in einem hellen Strohgelb aus dem Glas entgegen. Seinen Schaum würde ich als extrem schüchtern beschreiben. Sobald ich nämlich die Kamera auf ihn richte, macht er sich nahezu unsichtbar. Im Geruch entdecken wir eine deutliche Bananennote und ein frisches Orangenaroma. Letzteres erklärt sich mit einem Blick in die Zutatenliste: Neben Gerste, Haferflocken und Koriander führt diese auch Bitterorange mit auf. Für mich klingt das nach einer abenteuerlichen Mischung. Skeptisch nippe ich an meinem Glas – und bin sofort hingerissen. Obwohl das Witbier fruchtig und süß schmeckt, hat es überhaupt nichts klebriges oder zuckriges an sich. Eine faszinierende Kombination. Etwas vergleichbares habe ich tatsächlich noch nie getrunken.

Bier Nr. 4: Pumkin Ale von Ketterer

Dieses Bier habe ich uns bis zum Schluss aufgehoben. Denn um ehrlich zu sein, macht es mir ein wenig Angst. Ich kann schon die im Herbst allgegenwärtige Kürbissuppe nicht leiden. Nun sucht mich der Hokkaido auch noch im Bier heim. Doch beim vorsichtigen Schnuppern stellen wir fest: Das Bier riecht angenehm nach Melone, genauer gesagt nach Cantaloupe-Melone. Auf diese Überraschung folgt gleich die zweite: Das Pumkin Ale schmeckt kein bisschen nach Kürbis, sondern eher wie eine Frucht-Bowle. Beim zweiten Schluck merke ich, dass die fruchtige Süße von einem leicht herben Sidekick begleitet wird. Das Ganze erinnert mich stark an einen Bellini. Auch hier muss ich zugeben: unglaublich, dass Bier so schmecken kann!

Nach diesen vier ungewöhnlichen Erfahrungen würde ich am liebsten sofort weitermachen und die nächsten Biere erkunden. Doch in diesem Fall sind sich mein Freund und die Vernunft erstaunlicherweise einig. Zusammen überzeugen sie mich, dass wir uns die zweite Runde für die Weihnachtsfeiertage aufheben. Ich bin schon gespannt, welche Überraschungen dann auf mich warten. Schon jetzt durfte ich mich von so manchem Vorurteil verabschieden und es gehen bestimmt noch weitere über Bord. Meine Prognose? Die Kreativbiere werden den Weg des Sushi gehen – spätestens an Silvester sind wir beste Freunde.