Schwerelos von Wolke zu Wolke
Eine der schönsten Seiten an meinem Job: ich treffe sehr viele unterschiedliche Menschen. Nicht selten resultieren diese Begegnungen darin, dass ich mich von dem einen oder anderen Vorurteil, das ja jeder Mensch mit sich herumträgt, verabschieden muss – oder besser gesagt: verabschieden darf. Und manchmal passiert das an Orten, an denen ich überhaupt nicht darauf vorbereitet war. Zum Beispiel am Segelflugplatz in Schwandorf.
Dorthin hat mich an einem heißen Sonntagnachmittag unsere Mitarbeiterzeitung verschlagen. Die ist eigentlich eher Themen zu strategischen Entscheidungen, aktuellen Projekten und Innovationen vorbehalten. Daneben stellen wir aber auch regelmäßig ungewöhnliche Hobbys von Kollegen vor. Vom Langbogenbauen über die Schlangenzucht bis hin zum Fallschirmspringen hatten wir schon alles Mögliche dabei. Und bei dieser Ausgabe fiel die Wahl aufs Segelfliegen.
Das Vorwissen, mit dem ich mich am Sonntagmorgen auf den Weg machte, beschränkte sich auf das, was ich auf den letzten Drücker bei Wikipedia quergelesen hatte. Ahnung hatte ich also keine. Das hielt mich aber nicht davon ab, mir detailreich auszumalen, wie es in einem Segelflieger-Verein zugehen könnte – und das lässt sich am treffendsten mit dem Adjektiv „elitär“ beschreiben. Die Einzelheiten behalte ich lieber für mich, nur so viel sei verraten: Weiße Leinenanzüge, teure Uhren und ein Clubhaus mit viel Leder und Mahagoni spielten darin eine zentrale Rolle. Nun ja.
Dass meine Vorstellungen möglicherweise etwas vorgefärbt waren, dämmert mir bereits auf der Hinfahrt: Kurz vor dem Murner See lotst mich ein unscheinbares Schild weg von der Straße und hinein in den Wald. Mein Auto rumpelt auf einen schmalen Pfad zwischen den Bäumen entlang, bis der Weg eine Rechtskurve macht – und sich plötzlich eine riesige Schneise im Wald auftut: Das muss dann wohl der Flugplatz sein.
Ganz anders als erwartet
Mein erster Gedanke, als ich aus dem Auto steige: „Okay, Schnöselhausen sieht anders aus.“ Statt der erwarteten Clubvilla sehe ich ein kleines, schon leicht in die Jahre gekommenes Vereinsheim mit Grillplatz und Bierbänken vor der Tür sowie ein buntes Häufchen Igluzelte. Wie ich später noch erfahren soll, gehören die einem Flugsportverein aus Hessen, der hier sein zweiwöchiges Lager aufgeschlagen hat. Und anstelle der elitären Klientel tummeln sich auf dem Gelände entspannte Menschen in bequemen Freizeitklamotten. Die einen basteln am Equipment herum, die anderen haben es sich auf Klappstühlen neben der Startbahn bequem gemacht. Während der Flugleiter konzentriert den Betrieb am Boden und in der Luft regelt, schauen sie beiläufig den startenden Piloten zu und kommentieren gut gelaunt das Geschehen.
Es herrscht eine Atmosphäre, die irgendwo zwischen Schraubertreff-Stimmung und Campingplatz-Gemütlichkeit liegt – ich fühle mich sofort wohl. Der Eindruck verstärkt sich noch, als mir zwei fröhlich lächelnde Krones Kollegen entgegenlaufen: Elisabeth Pilney und Christoph Neudecker sind beide passionierte Segelflieger und möchten mir heute einen kleinen Einblick in ihr ungewöhnliches Hobby geben. Dass ich wenig bis gar nichts über die Fliegerei weiß, stört die beiden zum Glück nicht. Im Gegenteil: Geduldig führen sie mich über den Platz und erklären mir alles, was ich wissen will. Ihre Begeisterung fürs Fliegen klingt bei jedem Wort durch – und springt sofort auf mich über.
Für Christoph ist der Flugplatz schon seit Kindertagen ein zweites Zuhause. „Mein älterer Bruder ist Fluglehrer bei uns im Verein“, erklärt er. „Die Begeisterung für alles, was fliegt, habe ich quasi von ihm geerbt.“ Im frühestmöglichen Alter, mit 14 Jahren, begann er selbst mit der Flugausbildung. Mit 16 hatte er den Segelflugschein in der Tasche und verbrachte seitdem Hunderte Stunden in der Luft. Elisabeth dagegen entdeckte das Fliegen erst vor wenigen Jahren. „Als ich Werkstudentin bei Continental war, hat mich mein Betreuer mal auf den Flugplatz mitgenommen“, erzählt sie mir. „Ich bin nur einmal mitgeflogen – und gleich am nächsten Tag in den Verein eingetreten.“
In der Luft alleine – und trotzdem ein Team
Vor allem das Gefühl der Schwerelosigkeit und die Ruhe über den Wolken haben es der Maschinenbau-Ingenieurin angetan. „Beim Segelfliegen hat man keine Motorengeräusche“, sagt sie. „Man ist ganz allein mit sich und seinen Gedanken und schwebt dem Alltagsstress buchstäblich davon.“ Als Mitglied im Flugsport-Club Schwandorf benötigt sie zum Ausüben ihres Hobbys keinen eigenen Segelflieger, sondern nutzt einfach die Flugzeuge des Vereins. Im Gegenzug hilft sie bei allem mit, was rund um den Flugplatz an Aufgaben anfällt. Denn: „Segelfliegen ist ein echter Teamsport“, betont Christoph. Nicht nur kümmern sich alle Vereinsmitglieder gemeinsam um das Reparieren und Warten der Ausrüstung; auch beim Fliegen selbst sind sie auf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Das fängt schon beim Starten an: Weil klassische Segelflugzeuge kein Triebwerk besitzen, werden sie mit externer Hilfe in die Höhe gezogen – entweder per Seilwinde oder von einem Motorflugzeug im sogenannten „F-Schlepp“.
Ausschau nach Schäfchenwolken
Einmal oben angekommen, nutzen die Piloten nur noch die Thermik. Strahlt die Sonne auf die Erdoberfläche, steigt warme Luft nach oben – so lange, bis sie entweder auf die Umgebungstemperatur abgekühlt ist oder auf Luftmassen mit ähnlicher Dichte trifft. Wie Christoph erklärt, sei das beste Segelflugwetter „blauer Himmel mit vielen kleinen Schäfchenwolken“. Denn genau unter diesen entstehen in der Regel die großflächigen Aufwinde. Wie sie Wetterverhältnisse richtig einschätzen und ihre Flüge entsprechend vorausplanen, lernen angehende Piloten im theoretischen Teil der Ausbildung. Wer das Fliegen lernen will, muss vor allem eines mitbringen: Zeit. „In der Regel dauert es mindestens zwei Flugsaisonen, bis man den Schein absolviert hat“, sagt er. „Fliegen lernen ist nun mal aufwändig – man verbringt ja immer gleich einen ganzen Tag auf dem Platz.“
Doch als reines Entspannungs-Hobby, das man mal so eben nebenher betreibt, eignet sich die Fliegerei ohnehin nicht. Dafür verlangt sie den Piloten zu viel ab. „Segelfliegen ist ein mental anstrengender Sport“, sagt Christoph. „In der Luft ist man letztlich auf sich selbst gestellt, deshalb ist man den ganzen Flug über hochkonzentriert.“ Und so ein Flug kann bei guten Wetterbedingungen schon mal zehn Stunden dauern, in denen man über 1.000 Kilometer Strecke zurücklegt. Im Durchschnitt bewegen sich die Flugzeuge dabei mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde fort. Als Maximaltempo lässt sich aber leicht das Doppelte erreichen. Schon aufgrund der hohen Anforderungen ist der erste Alleinflug ohne Fluglehrer für jeden Piloten ein prägendes Erlebnis. „Vor dem Start war ich unglaublich nervös. In der Luft war es dann aber einfach nur befreiend, endlich allein im Flieger zu sitzen“, erinnert sich Elisabeth. „Und wenn man dann am Ende wieder gut gelandet ist, fühlt man sich, als könnte man alles schaffen.“
Überraschung: Jetzt wird geflogen!
Nach zwei Stunden auf dem Flugplatz sind sowohl mein Notizblock als auch die Speicherkarte der Kamera gut gefüllt. Material für einen Artikel hätte ich mehr als genug – aber meine beiden Interviewpartner haben noch eine Überraschung für mich parat: „Du hast schon noch Zeit für einen kleinen Rundflug, oder?“, fragt mich Elisabeth mit einem Strahlen im Gesicht. „Äh, klar …?“, antworte ich leicht verunsichert. Darauf war ich kein bisschen vorbereitet, aber gekniffen wird jetzt natürlich nicht. Weil die Segelflugzeuge des Vereins gerade alle besetzt sind, organisieren Elisabeth und Christoph schnell einen Plan B: Ihr Vereins- und ebenfalls Krones Kollege Johannes nimmt mich eine Runde mit dem Motorsegler mit.
Bevor es losgehen kann, müssen wir noch schnell das Flugzeug tanken und in Position schieben. Danach zeigt Johannes mir geduldig, wie ich – zumindest theoretisch – möglichst elegant in den Flieger hineinklettere, wie ich mich am besten in den Sitz falte und wie ich die Kopfhörer und den Gurt anlegen muss. Während er erklärt, wozu die vielen Anzeigen und Geräte im Cockpit dienen, bereitet er gleichzeitig den Start vor – und plötzlich sind wir auch schon in der Luft. „Geht’s dir gut? Wenn die Leute so still werden, ist ihnen meistens schlecht.“ Als ich Johannes leicht besorgte Stimme höre, muss ich unweigerlich lachen. Dass ich aufgehört habe zu sprechen, ist mir gar nicht aufgefallen, ich war einfach nur viel zu fasziniert: von der Oberpfälzer Seenlandschaft unter uns, von den Wölkchen neben uns und von dem Gefühl, in einer winzigen Kabine durch die Luft zu segeln. Weil ich mir wünschen darf, wohin es hingehen soll, fliegen wir Richtung Regensburg. Wir gucken uns mein Haus von oben an und drehen dann noch eine Runde über der Altstadt. Das Dahingleiten ist schon unglaublich schön, aber das beste sind definitiv die Kurven – ein Gefühl, wie beim Achterbahnfahren.
Heute Morgen dachte ich noch, ich fahre nur mal schnell zu einem Routine-Interview nach Schwandorf. Jetzt sitze ich auf einmal selbst im Flieger. Und ich habe den ganzen Nachmittag mit netten Menschen verbracht, die nicht nur lieben, was sie tun, sondern die ihre Leidenschaft auch mit anderen teilen möchten. Besser kann ein Arbeitstermin wirklich nicht werden.
Neugierig geworden?
Der Flugsport-Club Schwandorf e. V. freut sich über Besucher und neue Mitglieder. Bei schönem Wetter ist an jedem Samstag und Sonntag von 9 bis 18 Uhr Flugbetrieb.
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