Mehr als Wohnwagen und Heineken
Spätestens seit dem EM-Halbfinale 1988 stehen viele Deutsche den niederländischen Nachbarn etwas desinteressiert bis skeptisch gegenüber. Und auch wenn sich die fußballerischen Wogen allmählich glätten – von Nachbarschaftsliebe zu sprechen wäre wohl übertrieben. Die Klischees sind dabei sowohl zahlreich, als auch vielseitig und reichen von Holzschuhen über Wohnwagen und Käse bis hin zu Tulpen und verstopften Autobahnen.
Dass die Niederlande aber noch viel mehr sind, davon bin ich bei meinem Auslandspraktikum in Amsterdam vollständig überzeugt worden. Da wären zum Beispiel unzählige kleine Kneipen und Cafés, in denen man mit echt niederländischer gezelligheid ein Bierchen genießen kann. Und dabei ist das –chen hinter dem Bier nicht nur Formsache! Zwar sind die verschiedenen Biergrößen und ihre Bezeichnungen eine Wissenschaft für sich, standardmäßig wird jedoch ein biertje bestellt. Und dieses biertje mit seinen gerade einmal 25-30 cl (je nach Region) hat den Diminuitiv mehr als verdient. Das hat aber den netten Nebeneffekt, dass aus einem Feierabendbier beim borrel (beim gemütlichen Umtrunk) mit Kollegen sehr zuverlässig vier bis fünf Runden werden und man auch Samstag morgens beim Stadtbummel schon mal problemlos eine kurze Bierpause machen kann.
Und was gibt es schöneres, als im Sonnenschein an einer der zahllosen Grachten ein kaltes Bier zu trinken? Richtig: Ein Bier in der Sonne, am Wasser – mit Häppchen. Und auch wenn die niederländische Küche (zurecht) alles andere als berühmt ist, im Machen von Häppchen, sogenannten borrelhapjes, sind sie überragend gut! Die absoluten Klassiker unter diesen Snacks sind dabei Gouda-Würfel und Bitterballen: kleine, panierte Kugeln, gefüllt mit einer Art Ragout (und nur die wirklich Mutigen trauen sich zu fragen, was wirklich alles drin ist), die man am besten mit scharfem Senf isst. Optional gibt es dazu auch noch ein paar Scheiben Wurst oder in Teig eingebackenen Käse (in Form von kaassoufflés oder kaasstengels).
Aber so wichtig die Beilagen auch sind, natürlich darf auch das Bier selbst nicht vernachlässigt werden. Umgeben von den Nachbarländern Belgien und Deutschland besteht nun nicht gerade der dringendste Bedarf, in den Niederlanden selbst zu brauen. Und auch die knapp 17 Millionen Einwohner bieten keinen übermäßig großen Heimatmarkt. Und trotzdem hat sich in Jahrhunderte langer Brautradition nicht nur der niederländische Megakonzern Heineken durchgesetzt, sondern auch zahlreiche kleinere Brauereien. Und während Heineken eher bodenständiges Bier für die globale Masse braut, gibt es auch zahlreiche Brauereien, die sich dem Brauen von Craft Beer verschrieben haben. So hat sich beispielsweise die einst winzige Brouwerij `t IJ in den letzten Jahrzehnten zu einer Brauerei mit acht Standardbieren, drei saisonalen Bieren und einzelnen limitierten Bieren entwickelt. Unter den Standardbieren ist unter anderem das I.P.A. der regionalen Brauerei zu finden, welches sich in den Kneipen Amsterdams und der Umgebung voll und ganz etabliert hat und gerne als Alternative zu Heineken oder Amstel angenommen wird. Saisonal verschiedene Biere zu brauen ist dabei auch bei anderen Brauereien gang und gäbe, beispielsweise braut die Brauerei Texels spezielle Biere zur Frühjahrszeit und zur dunklen, stürmischen Wintersaison. Außerdem gibt es gleich zwei jährliche Wettkämpfe um den Titel des besten Bockbieres. Die Liste der niederländischen Brauereien ist so lang wie die Reihe der am Amsterdamer Hauptbahnhof geparkten Fahrräder – es wäre unmöglich, hier alle aufzuzählen. Einen Ausflug über die Grenze sind die zahlreichen regionalen Biere – und natürlich auch die vielen wirklich wunderschönen Städte – aber allemal wert.
Außerdem sympathisch: Das Proost! jenseits der Grenze ist unserem Prost! doch recht ähnlich. Wenn das nicht ein vielversprechender Anfang der Völkerverständigung ist.
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