Gin zum Genießen, Wissen zum Angeben

Manchmal fühle ich mich alt. Und ein bisschen spießig. Und das, obwohl ich eigentlich (glaube ich) keines von beidem bin. So geht es mir zum Beispiel dann, wenn ich im Supermarkt Jugendliche beobachte, die auf der Suche nach dem billigsten Rausch sind. Und ich will auch gar nicht urteilen, schließlich bin ich früher ganz ähnlich vor den Regalen gestanden. Aber jetzt halt nicht mehr. Jetzt ist das Kriterium nach dem ich mich entscheide in erster Linie der Geschmack. Vielleicht ein bisschen eingeschränkt vom Preis. Gut, und bei Wein auch ein bisschen das Etikett. Aber eben nicht mehr das Alkoholgehalt/Preis Verhältnis. Ganz besonders merke ich das bei einem Getränk: Gin. Da könnte ich mich Abende lang für viel Geld durch verschiedene Sorten probieren. Gut, mit Gin als Lieblings-Spirituose bin ich nicht gerade ein Trendsetter, sondern folge eher der Masse derer, die ihn zu einem der In-Getränke der letzten Jahre gemacht haben. Auch an diesem gestiegenen Interesse liegt es sicherlich, dass in letzter Zeit Sorten und Hersteller aus dem Boden schießen und den Gin-Trinker mit einer unglaublich großen Auswahl beglücken.

Historischer Exkurs

Ihre historische Wurzel haben all diese Sorten im „Genever“ (niederländisch „jeneverbes“ bzw. französisch „genièvre“ für Wacholder). Dieser Vorläufer des Gins war schon im 16. Jahrhundert bei den Niederländern sehr beliebt und fand später mit König Wilhelm III. von Oranien-Nassau seinen Weg nach England. Unter dem verkürzten Namen „Gin“ wurde das Getränk in Londoner Kreisen so beliebt, dass um 1740 herum beachtliche 91 Millionen Liter jährlich produziert wurden – zum allergrößten Teil für die damals ca. 500 000 Einwohner Londons. Nach einer Absatzkrise in den 1970er Jahren wurde Gin seit den späten 80ern wieder beliebter; heute wird er erneut als Szene-Getränk gefeiert.

Herstellung und Inhalt

Wodka aus Kartoffeln oder Getreide, Rum aus Zuckerrohr oder Melasse … ja und Gin? Beim Gin ist der Ausgangsstoff des Grundalkohols nicht näher festgelegt, es wird aber mit möglichst hochprozentigem, reinen Alkohol gearbeitet. Für qualitativ hochwertige Produkte wird der Neutralalkohol dann meist mit Wasser auf 50 % Vol. verdünnt und destilliert. Dann bekommt er durch den Einsatz von Gewürzen, Kräutern, Nüssen, Früchten oder Blüten, den Botanicals, seinen Geschmack. Dafür existieren zwei verschiedene Methoden: Entweder der Alkohol wird direkt mit den Botanicals versetzt und zieht durch, die Mischung mazeriert. Anschließend wird sie abdestilliert.

Eine andere Möglichkeit ist, die Botanicals nicht direkt in den Alkohol zu geben, sondern den Alkohol alleine zu destillieren. Dabei hängen die Botanicals im aufsteigenden Dampf und geben so ihre Aromen ab. Möglich ist auch eine Kombination der beiden Methoden, in jedem Fall wird das Destillat danach mit Wasser auf den gewünschten Alkoholgehalt verdünnt. In der Wahl der Botanicals, des Verfahrens und der Trinkstärke sind die Hersteller dabei völlig flexibel – nur einen Alkoholgehalt von mindestens 37,5 % Vol. und das Hauptaroma Wacholder muss jedes Getränk haben, das sich Gin nennen will.

Kategorien der Sortenvielfalt

Den großen Freiheiten bei der Gin-Produktion entsprechend ist die Bandbreite an verschiedenen Sorten und Geschmäckern sehr groß. Dennoch lassen sich die diversen Produkte in vier klassische und eine moderne Kategorie einordnen.

London Dry Gin ist wohl der Klassiker mit dem größten Publikum. Aus London muss er nicht stammen, dafür sind andere Kriterien für die Bezeichnung entscheidend: Die Basis muss hochwertiger Alkohol sein, außerdem sind Farbstoffe, übermäßig viel Zucker, künstliche Aromen und nachträglich hinzugegebene Aromen tabu. Dennoch können London Dry Gins verschiedenste Geschmacksrichtungen haben – starke Zitrusnoten beispielsweise sind neben dem intensiven Wacholder nicht selten.

Geschichtlich gesehen ist der Old Tom Gin der Urvater heutiger Sorten. Im 18. Jahrhundert war er mit der beliebteste Gin – was wohl in erster Linie daran lag, dass er gesüßt wurde um die oft schlechte Qualität des Grundalkohols zu überdecken. Mittlerweile trifft er mit seiner Süße aber nicht mehr den Geschmack der Masse und wird nur noch selten angeboten.

Echter Plymouth Gin durfte lange Zeit nur in der südenglischen Hafenstadt produziert werden, inzwischen gibt es diesen Schutz nicht mehr. Trotzdem hält sich die Zahl der Hersteller dieses trockenen Gins mit nur dezenter Wacholdernote stark in Grenzen.

Streng genommen ist Sloe Gin „nur“ ein Likör, denn ihm genügt ein Alkoholgehalt von 25 % Vol. Für die englische Spezialität werden typischerweise Schlehen in Gin mazeriert, anschließend wird er gefiltert, verdünnt und mit Zucker abgerundet. Dabei können auch nachträglich noch Aromen ergänzt werden.

Zu guter Letzt hat sich im Gin-Hype der letzten Jahre eine neue, noch nicht wirklich definierte Kategorie gebildet. Dieser „New Style“, oft auch „Modern Style“ genannt, beinhaltet alles, was nicht in die klassischen Kategorien passt. Viele Hersteller arbeiten aktuell mit neuen, untypischen Zutaten und schaffen so komplett neue Geschmacksrichtungen. Beliebt sind beispielsweise regionale Kräuter, Gewürze und Pflanzen, die die Herkunft des Gins unterstreichen. Dabei gibt es einige, die trotz neuer Botanicals klassisch schmecken, andere wiederum stellen das Wacholder-Aroma in den Hintergrund.

Zeit für Gin!

Sicherlich ist Gin nicht jedermanns Sache – muss ja auch nicht sein. Für alle Fans und Interessierten gibt es aber aktuell unschlagbar viele Möglichkeiten, um Neues zu probieren und zu genießen. Zahlreiche Bars haben verschiedenste Gins im Sortiment, dazu kommen passende Tonic-Kombinationen und kreative Gin Cocktails. Alle, die wie ich schon überzeugt sind und Qualität zu schätzen wissen, dürften also sowieso schon am Probieren sein. Und für alle anderen: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Und allen, die sich gerne noch weiter einlesen würden, sei an dieser Stelle die Broschüre „GIN“ von Bernhard Schäfer und dem SchokoRing als Einstiegslektüre ans Herz gelegt. Ihr bekommt sie entweder direkt über den SchokoRing oder über diverse Fachhändler.