Die Bescheidenheit der Hefe
Viele Getränke, ob Bier, Wein, Sekt oder Cidre haben eines gemeinsam: Sie verdanken ihre Entstehung einem winzigen Mikroorganismus, der Hefe. Um Zucker in Alkohol und Kohlendioxid zu verwandeln, bedarf es nun mal der Hefe, eines Sporenpilzes, der überall in der Luft vorkommt. Die Hefe gibt sich zurückhaltend…doch ihr Einfluss ist beachtlich.
Im Jahr 2009 wurden weltweit etwa 1,9 Millionen Tonnen Hefe produziert. Den größten Anteil hat die Bäckerhefe, gefolgt von Bierhefe und aktiver Lebendhefe. Bei Bierhefen wird zwischen obergärigen (Saccharomyces cerevisae) und untergärigen Stämmen (Saccharomyces carlsber- gensis) unterschieden. Die Weinhefe (Saccharomyces ellipsoides) kommt auch unter natürlichen Bedingungen vor, wird heute fast ausschließlich als Reinzuchthefe eingesetzt.
Hefebänke bewahren die Stämme verschiedener Reinzuchthefen auf, vermehren und verkaufen sie. Die privat geführte Hefebank Weihenstephan beispielsweise hat rund 100 unterschiedliche unter- und obergärige Hefestämme im Angebot, darunter untergärige Bruchhefen, untergärige Staubhefe, eine spezielle untergärige Hefe Saccharomycodes Ludwigii zur Herstellung eines alkoholarmen Biertyps, obergärige Hefestämme für Weizenbiere, Altbierhefen und Kölschhefen. Bruchhefen verklumpen während der Gärung und setzen sich am Boden ab, das Bier klärt sich zügig von alleine. Staubhefen bleiben deutlich länger in Schwebe und klären nur sehr langsam. Sie sorgen aufgrund ihrer feineren Verteilung für eine vollständigere Umwandlung des Zuckers. Untergärige Hefen benötigen eine niedrige Gärungstemperatur. Deshalb können sich weniger Pilze und Mikroben bilden, so dass das untergärige Bier eine höhere Haltbarkeit aufweist.
Außerdem benötigt das untergärige Brauen eine längere Gär- und Lagerzeit. Obergärige Hefe bildet Sprossverbände aus einer Vielzahl von Zellen, die dann von Kohlendioxid an die Oberfläche getragen werden. Die untergärige Hefe sinkt dagegen auf den Boden ab. Beide Hefearten vergären mit jeweils anderen Nebenprodukten. Daraus ergeben sich Biere mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen und Aromen.
Doch Hefe gilt auch als wichtiger Einfluss auf den Geschmack des fertigen Weins. Auf den Schalen der Trauben befindet sich Weinhefe. Wenn die Hefepilze mit Fruchtzucker im Most in Berührung kommen, vermehren sie sich rapide und verwandeln den Fruchtzucker in Kohlensäure (CO2) und Alkohol. In der Regel werden jedoch spezielle Reinzuchthefen zugesetzt. Typische Weinhefestämme sind etwa Saccharomyces cerevisiae oder Saccharomyces uvarum. Für Weißweine werden andere Hefen verwendet als für Rotwein oder Roséweine. Die Hefen weisen unterschiedliche Zucker-, Alkohol- und Temperaturtoleranzen auf. So gibt es beispielsweise „Portweinhefe“, die sich durch hohe Alkoholtoleranz auszeichnet, oder spezielle Kaltgärhefen, die auch bei sehr niedrigen Temperaturen noch gut gären. Die Heferassen unterscheiden sich primär in ihren Stoffwechselprodukten, was dazu führt, dass sie damit einen wichtigen Einfluss auf den Geschmack des fertigen Weins haben.
Hefen erzeugen bei der Gärung ja nicht nur Alkohol und Kohlensäure, sondern auch verschiedene Nebenprodukte, wie zum Beispiel Glycerin oder unterschiedliche Aromastoffe. Hier gibt es deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Hefestämmen. Im Hefefinder beispielsweise kann sich jeder seine speziell geeignete Hefe nach einer ganzen Liste von Kriterien wie Rebsorte, Mostgewicht, Gärtemperatur oder Aromaprofil aussuchen lassen.
Trotz allem, so scheint es, ist die Hefe ein bescheidenes Wesen. Denn ungeachtet ihrer immensen Bedeutung für die Gärung an sich, aber auch für den Geschmack und den Charakter von Bier und Wein, verzichtet sie fast gänzlich auf Public Relations, im Gegensatz zu ihren Rohstoffkollegen Hopfen, Malz, Weintrauben und Äpfeln, und unterliegt auch nicht den erntebedingten Preisschwankungen und Spekulationen. „Mit Hallertauer Hopfen gebraut“, „feinstes Braumalz aus regionalem Anbau“, „Keine andere Rebsorte des Landes bringt noblere, stolzere und leidenschaft- lichere Weine hervor“, „Cider aus einer einzelnen Apfelsorte“, ja – alle zeigen sich im Marketing von ihrer besten Seite. Nur die Hefe nicht.
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