Skurril und vielseitig: Island findet zum Bier
Was passiert, wenn ein Land über 70 Jahre lang ohne Bier auskommen muss? Zuerst wird wüst gepanscht, dann entsteht Widerstand – und anschließend besteht jede Menge Aufholbedarf. So geschehen in Island, wo seit einigen Jahren zahlreiche neue und kreative Brauereien entstehen. Ich habe mich auf eine Recherche-Reise begeben.
Prohibition in Island
Zunächst ein kurzer Rückblick auf die (aus der Sicht eines Bier-Trinkers) traurige Vergangenheit des Inselstaates: Motiviert durch die Unabhängigkeit vom Bier-affinen Dänemark trat 1915 ein Gesetz in Kraft, das den Beginn der Prohibition in Island markiert. Die Verbote für Wein und Spirituosen wurden in den folgenden Jahrzehnten schnell gelockert, Bier blieb zunächst einmal bis 1933 verboten. Zu diesem Zeitpunkt war der Bier-Durst wohl groß genug für einen Kompromiss: Bier wurde grundsätzlich wieder erlaubt, allerdings nur bis zu einem Alkoholgehalt von 2,25%. Wenig überraschend, dass das den Durst der Isländer nur bedingt befriedigen konnte – das Ergebnis: Schmuggelware aus dem Ausland, erste geheime Garagen-Sude und die grandiose Idee, das schwache Bier mit hartem Schnaps zu mischen. Wobei bei letzterem wohl die Wirkung vor dem Genuss gestanden haben dürfte.
In den 1970er Jahren wurden Urlaube außerhalb Islands zunehmend beliebter und normaler und steigerten das Bedürfnis der Isländer, auch nach der Rückkehr in die Heimat legal „richtiges“ Bier zu trinken. Der Widerstand führte allerdings zunächst einmal zu einer nicht ganz einleuchtenden Situation: Der Verkauf von Bier war im ganzen Land weiterhin illegal, der Duty-Free-Bereich des Flughafens bildete aber eine Ausnahme. Und so konnten einreisende Touristen, aber auch Isländer hier bis zu acht Liter Bier kaufen und importieren – verrückterweise nicht nur internationale Biere, sondern auch isländische Produkte die es nirgends außer am Flughafen (legal) zu kaufen gab. Ende der 1980er Jahre hatte das Althing, das isländische Parlament, dann schließlich ein Einsehen: Seit 1989 ist Bier in Island legal erhältlich.
Hotspot Flughafen
So ganz wie in Deutschland gewohnt läuft der Bier-Kauf in Island aber auch 2018 nicht, wie ich bei meiner Reise gelernt habe. Nach wie vor ist das Bier-Regal im Duty-Free-Shop die Anlaufstelle Nr. 1 nach der Landung in Reykjavik – inzwischen aber in erster Linie aus Preisgründen. Im Supermarkt sucht man Bier allerdings auch heute noch vergeblich – der Verkauf alkoholischer Getränke läuft ausschließlich über die staatliche Kette Vínbúðin.
Die Bier-Szene holt auf
Teurer, aber auch gemütlicher trinkt es sich aber sowieso in den vielen Kneipen und Pubs Reykjaviks (und anderswo natürlich). Und was in Deutschland eher geizig und ungemütlich ist, scheint in Island sehr viel normaler zu sein: Man passt sein Ausgeh- und Trinkverhalten an die wechselnden Happy-Hours der Kneipen an. Dabei stolpert man dann möglicherweise – wie ich diesen Sommer – in die Skúli Craft Bar und kommt unverhofft in den Genuss einer großen Auswahl an isländischen Craft-Bieren (den zur Kneipe gehörenden Food Truck nicht zu vergessen!).
In den letzten Jahrzehnten hat die isländische Bier-Szene nämlich ordentlich aufgeholt: Seit 2006 mit der Brauerei Kaldi die erste Mikrobrauerei des Landes ihre Türen geöffnet hat, ist die Bier-Landschaft in Island zum Leben erwacht. Inzwischen gibt es in dem 350.000 Einwohner starken Land eine beachtliche Mischung aus „großen“ Brauereien mit klassischen (und sehr gut trinkbaren) Bieren und aus sehr kreativen Kleinstbrauereien. Dabei entstehen (wie auch auf anderen Bier-Märkten) gelegentlich auch etwas skurrile Kreationen. Wer auf Säure im Bier steht, der sollte beispielsweise mal das Skyrgosi probieren – wie der Name vermuten lässt tatsächlich eine Kombination aus Bier und dem Joghurt-ähnlichen Skyr. Viel isländischer wird es nicht.
Um sich durch die gesamte isländische Bier-Landschaft zu trinken braucht es mehr Zeit (und Geld) als ich diesen Sommer hatte. Trotzdem hat es gereicht um ein paar (teils absolut unaussprechliche) Highlights zu entdecken. Wer tiefer einsteigen möchte in die Schätze isländischer Brauereien, dem kann ich unter anderem diese Auflistung empfehlen – und natürlich einen Besuch der Kneipen Reykjaviks.