Peace, Bier und Expertise – Ein Gespräch mit dem Bierpapst
Wenn Conrad Seidl einen Raum betritt, dann ist er das Zentrum der Aufmerksamkeit. Ob es an den Steampunk-Goggles liegt, oder an dem Gestus alter österreichischer Schule – von wem bekommt man sonst noch einen Handkuss? – kann wohl nicht final geklärt werden. Fest steht: Conrad Seidl ist in der deutschsprachigen Craft-Beer-Szene bekannt wie eine bunter Hund. Er ist der Bier-Papst. Auf der Braukunst Live! in München war Seidl ein beliebter Interviewpartner, obwohl er eigentlich aus dem Journalismus kommt – und bisher die Interviews eher selbst geführt hat. „In einer Stunde bin ich gleich bei Ihnen“, sagt Seidl – und wirklich: Nach einer Stunde haben wir im Gewühl der Messe kurz Zeit, uns zu unterhalten. Endlich eine Audienz. Und endlich habe ich Zeit die Fragen zu stellen, die mir schon lange unter den Nägeln brennt: Wie wird aus einem Publizisten und politischen Journalisten ein Bierpapst – und wie sieht Seidl die Craft-Beer-Szene im deutschsprachigen Raum?
Wissen Sie, das Buch, dass sich von mir am meisten verkauft hat heißt: „Die Marke ICH“ – ich identifiziere mich stark damit. Journalisten sollen meiner Meinung nach auch Experten sein, jedoch nie selbst machen, worüber sie schreiben. So wie Opernkritiker nicht anfangen sollen zu singen. Das ist auch ein Stück Freiheit – es eben nicht selbst machen zu müssen!
Seidl hat es immer als Verantwortung verstanden, sich eine gewisse Expertise bei „seinen Themen“ anzueignen – beim Thema Bier genauso wie zur Politik.
Beim Bier ist es halt sehr angenehm, Experte zu werden.
Seidl begann vor dreißig Jahren, sich eingehend mit Bier und Braukunst zu beschäftigen – zu einer Zeit also, wo noch nicht an Bier-Sommelier-Kurse, an Verkostungsgläser und elaborierte Biermenus zu denken war. Ende der 90-er Jahre war Conrad Seidl dann bereits als Referent zum Thema Bier unterwegs. Bei ersten Biersommelier-Kursen und in der Ausbildung der Restaurantfachkräfte.
Wir haben in Österreich schon sehr zeitig begonnen, Lehrer an Berufsschulen auszubilden – sie sind ja immerhin Mittler, die ihr Wissen stetig weitergeben. Inzwischen ist die Bierkultur in Österreich hoch entwickelt, auch weil sich über die ausgebildeten Lehrer ein Wissensschatz herausgebildet hat. Denn nur, wenn das Bier richtig beim Gast ankommt, dann wird es erst richtig geschätzt.
Es sei ein Muss gewesen, das Thema Bier in der Ausbildung der Gastronomen prominent zu behandeln, denn Österreich hat für Seidl eine Tradition als Genussland. – das sagt der gebürtige Wiener nicht ohne Nationalstolz. Diese Tradition wollte Seidl bereits früh weiterentwickeln.
Über Wein und Käse haben immer alle gesprochen, da dachte ich mir, dass es doch auch über Bier und Käse etwas zu erzählen geben muss.
Insgesamt sieht Seidl es als Chance für die neue kreative Braukultur, wenn in einem Land die Bierkultur bislang nicht sehr lebendig war.
Wo es schon viele hervorragende Biere gibt, dort ist es für neue Qualitäts-Biere schwierig in den Markt zu kommen. In Ländern wie Frankreich, Italien und Spanien beginnt die Kultur praktisch bei Null – während in Deutschland ja schon vor Craft Beer eine alte und reiche Bierszene mit Spitzenbieren vorhanden war. Auch das sogenannte „Industriebier“ ist in Deutschland oft wundervoll – Das Wort „Industriebier“ wird landläufig immer so abfällig gesagt, aber ich bitte um „Peace“. Für manche Biere wie Pils braucht man eben sehr gute Anlagen, weil ansonsten sehr viel schiefgehen kann. Gute Technik bedeutet eben auch sehr oft hervorragendes Pils.
Das wachsende Interesse an der kreativen Bierszene beobachtet der Bierpapst mit wachsamen und zufriedenen Augen. Und irgendwo unter dem Hut mit der alten Fliegerbrille sehe ich auch ein wenig Stolz – denn sicher hat der Seidl mit seiner blumigen und fesselnden Art auch einen Teil zur Entwicklung der deutschsprachigen Szene – so wie sie heute ist – beigetragen. Und er weiß sich und seine Liebe zum Bier weiter sehr gut zu verkaufen.