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Flüssiges Kulturgut und gemütliche Spelunken

Schon von weitem sieht man sie. Wenn man die Stufen des Turms der St. Bartholomäus Kathedrale bezwingt, fällt spätestens der dritte (je nach Begeisterung für Stadtbild und Fußballstadion) Blick in ihre Richtung. Und selbst wenn man sie einmal nicht sehen kann riecht man sie, zumindest an einigen Tagen der Woche. Und nicht nur deshalb ist sie der ganze Stolz der Stadt.

Wer SIE ist? Die Brauerei Pilsner Urquell. Und die Stadt von der hier die Rede ist, ist demnach das böhmische Pilsen. Vom Krones Werk in Neutraubling ist die Stadt im Westen Tschechiens nur circa zwei Stunden entfernt und deshalb für viele nicht unbekannt. Aber auch diejenigen, die mit der Stadt Pilsen noch nie Kontakt hatten werden schnell die Verbindung zum Pils herstellen können.

1842 wurde hier das allererste Bier nach Pilsner Art, wie wir es kennen, ausgeschenkt: das Pilsner Urquell. Der damalige Braumeister Josef Groll war zwar aus Bayern, das Bier hat sich trotzdem zum tschechischen Bier und Kulturgut schlechthin entwickelt.

Und der Titel Kulturgut ist dabei keine Übertreibung, denn die Tschechen lieben ihr Bier und sehen es geradezu als Teil ihrer nationalen Identität. Das spiegelt sich auch im Bierkonsum pro Kopf wider, in dieser Kategorie suchen sie weltweit ihresgleichen.

Im Trink- und Ausgehverhalten ist der Durchschnittstscheche, wie ich ihn während eines Auslandssemesters in Pilsen kennengelernt habe, ein bodenständiger Genießer. Freunde und Bekannte sitzen in der Bierstube gemütlich beisammen, es braucht weder Trubel noch raffinierte Getränkevariationen. Man diskutiert über die Politik, das Leben, Fußball, Eishockey und Banalitäten und trinkt dabei ein Bier nach dem Anderen. Gemütlich ist es im abgedunkelten, verrauchten und spartanisch möblierten Wirtsraum und über jedem Gespräch der (vorwiegend männlichen) Gäste hängt eine zufriedene Melancholie, die ich außer in Tschechien so noch nirgends erlebt habe.

Zum Bier gibt es in den meisten Gastwirtschaften kleine Häppchen. Einer der echten Klassiker ist beispielsweise nakládaný hermelín: mit Zwiebeln, Knoblauch, Paprika und Gewürzen in Öl eingelegter Camembert, serviert mit ein paar Scheiben Brot. Aber auch salziger Käse, fettige Würstchen oder Fischhäppchen lassen sich hervorragend mit Bier kombinieren. Hauptsache bodenständig und nicht kalorienarm

Wer allerdings glaubt, Pilsner Urquell allein hätte den Markt fest in der Hand, der liegt nicht ganz richtig. Denn es gibt außerdem noch Gambrinus, Radegast und Velkopopovický Kozel, die genau wie Pilsner Urquell zur Brauereigesellschaft Plzeňský Prazdroj gehören. Außerdem is da natürlich noch der staatseigene Gigant Budweiser Budvar aus České Budějovice (Budweis), der ebenfalls den Ruf des tschechischen Bieres geprägt hat. Wie auch in Pilsen braut man hier schon seit dem 13. Jahrhundert, das erste Budweiser wurde dann im Jahr 1895 hergestellt. Das tschechische Bier Sortiment wird durch Brauereien wie Staropramen, Bernard, Zlatopramen, Starobrno und zahlreiche kleinere Mikrobauereien vervollständigt.

Gerade Bayern dürfte die tschechische Bierkultur schnell vertraut sein. Zuerst einmal wäre da die Glas- beziehungsweise Kruggröße. Da halten es die Tschechen nämlich wie wir, ausgeschenkt wird größtenteils im halben Liter. Generell wird tschechisches Bier am liebsten – und meisten – vom Fass getrunken, nicht aus der Flasche oder Dose. Und Kneipe oder Wirtshaus sind weit mehr als „nur“ Quelle des Bieres. Sie haben im Idealfall auch das Potential zum zweiten Wohnzimmer: hier erfährt man das Neueste, trifft sich auch ohne Verabredung und schaut gemeinsam Sportübertragungen. Und trotz aller Geselligkeit ist es auch völlig legitim einfach zu schweigen.

Findet man Gefallen an einer Wirtschaft und kommt regelmäßig, so hat man es geschafft – man darf sich bald echt tschechisch „štamgast“ nennen.

In diesem Sinne, na zdravi!

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