Das Bier und das Glas – eine komplizierte Beziehung
Meine Großmutter trinkt mit ihren mittlerweile 82 Jahren immer noch sehr gerne Bier. Weil ihre Nachfahren da eine ähnliche Leidenschaft haben, wird bei Familienfesten natürlich auch oft das ein oder andere Bier ausgeschenkt. Und Ausschenken ist hier wort-wörtlich zu nehmen, denn, da wird meine liebe Oma streng: Bier wird nie aus der Flasche, sondern immer aus dem Glas getrunken!
Mit dieser Einstellung ist sie wahrlich nicht allein, entfalten sich doch im Glas erst die Aromen und vor allem der Schaum. So weit so plausibel, wäre da nicht noch die große Vielfalt an Bierstilen: Habt ihr euch nicht auch schon mal gefragt, zu welchem Bier eigentlich nochmal welches Glas gehört? Was hat es eigentlich mit dem guten alten Steinkrug auf sich? Und warum fühlt es sich in Bayern wie ein Verbrechen an, Weißbier nicht aus dem passenden Glas zu trinken? Ja, die Beziehung zwischen Glas und Bier scheint keine einfältige zu sein. Deshalb habe ich mal (Achtung: schlechtes Wortspiel) tief ins Glas geschaut, um der Frage ‚Welches Glas harmoniert mit welchem Bierstil?‘ auf den Grund zu gehen.
Gerne hätte ich euch hier einen schönen tabellenartigen Überblick erstellt, ganz so einfach ist dieses Thema aber leider doch nicht: Es gibt nämlich ‚neutrale‘ Gläser, die für viele verschiedene Bierstile geeignet sind und eben auch solche, die nur für einen spezifischen Bierstil verwendet werden. Als Paradebeispiel gilt hier die Kölsch-Stange. Hier ist sogar offiziell durch die Kölsch-Konvention festgelegt, dass Kölsch ausschließlich aus dieser Art von Glas verzehrt werden darf. Vermutlich zum Vorteil des Bieres, denn das schmale, zylindrische Glas mit dem typischerweise geringen Fassungsvolumen (durchschnittlich 0,2 Liter) sorgt dafür, dass sich der eher unstabile Schaum des Bieres entfalten kann und – insbesondere bedingt durch das geringe Fassungsvolumen – auch dafür, dass das Bier frisch bleibt und nicht schal wird.
Wie der Name schon sagt, ist die Pils-Tulpe das Glas für das unter den Deutschen sehr beliebte Pils. Hält man das Glas beim Trinken am Stiel, bleibt die Temperatur erhalten, die Tulpen- bzw. Knospenform sorgt außerdem dafür, dass der Schaum lange aushält und dass das hopfenhaltige Bier zur Geltung kommt.
In die Liste der Biergläser, die nur für einen Bierstil üblich sind, reiht sich auch das Weißbier- oder Weizenglas ein. Im langen, schmalen Glas kann sich unten die Hefe festsetzen, sodass sie beim Trinken nicht in den Mund gelangt. Durch die typischerweise eher dickwandigen Gläser bleibt außerdem die Temperatur des Bieres erhalten. Gut, ich muss zugeben, das sind schon mal gute Gründe, warum zumindest in meinem Umfeld mit Inbrunst darauf geachtet wird, dass das Weißbier auch ja aus dem passenden Glas getrunken wird.
Zum Glück gibt es da auch noch Gläser, bei denen es nicht ganz so genau gehen muss. Der Verkaufsschlager und das Standardglas unter den neutralen Gläsern ist in Deutschland der Willybecher, den man vermutlich in jedem Wirtshaus findet, da dieser vielseitig verwendbar ist. Meist wird daraus Helles oder Lagerbier serviert, aber auch für Softdrinks eignet sich das Glas gut.
Ein Allrounder ist übrigens auch das Bierverkostungs- oder Degustationsglas, das – Überraschung – seinen Auftritt bei Bierverkostungen hat und in dem man fast jeden Bierstil probieren kann, bis auf Pils und Lagerbier: die machen sich in diesem Glas weniger gut. Durch die typische gewölbte Kelchform kann das Bier in diesem Glas gut atmen, so können sich auch die Aromen besonders gut entfalten und es entsteht außerdem eine wunderschöne Schaumkrone. Der Stiel sorgt wiederum dafür, dass das Bier seine Temperatur beibehält.
Mit Ausnahme des Degustationsglases habe ich mich bei den Gläsern bisher vor allem im deutschen Kulturraum bewegt. Richtet man den Blick nun gen Nordwesten, stößt man auf das aus Großbritannien stammende Pint-Glas. Dieses wurde nach der Mengenangabe ‚Pint‘ (in England circa 586 ml) benannt und wird nach obenhin breiter. Bezeichnend für dieses Glas ist vor allem, dass der Schaum abgestrichen wird und es keinen Füllstrich gibt, das Glas wird also bis nach obenhin mit Bier gefüllt. Typischerweise werden hier IPAs, Stouts oder Porters eingeschenkt.
Im Bierland Belgien werden die Traditionsbiere Tripel, Dubbel, Blond oder Trappistenbier übrigens aus Kelch- oder Pokalgläsern serviert. Die komplexe Aromatik der belgischen Biere findet im rundlichen Kelch genug Platz zum Atmen und die Biere verlieren schnell an CO2, was aufgrund des hohen Kohlensäureanteils sogar erwünscht ist. In belgischen Kneipen würde sich übrigens auch meine Oma sehr wohl fühlen – denn dort ist das passende Glas zum Bier Pflicht. Weil die Auswahl an verschiedenen Bieren in belgischen Kneipen gleichzeitig oft sehr beachtlich ist, haben die meisten Lokalitäten eine beeindruckend große Gläserauswahl.
Fast hätte ich ihn jetzt doch noch vergessen: Den guten alten Steinkrug. Tatsächlich findet der aber kaum mehr Verwendung, denn der Glaskrug hat ihn mehr oder weniger abgelöst. Ein Grund: Im Steinkrug kann man nicht erkennen, ob der Wirt auch wirklich bis zum Füllstrich eingeschenkt hat. Als Urvater aller Bierkrüge ist er bisher trotzdem noch nicht von der Bildfläche verschwunden, hat aber meist, oftmals mit aufgedruckten Schriftzügen oder Bildern, eher repräsentative Aufgaben. Gängiger in den Wirtshäusern hierzulande ist daher der Glaskrug oder eben, zu gegebenen Anlässen auch der Maßkrug. Der Größte unter den Bierkrügen ist außerdem übrigens der dickwandigste, damit das Bier auch schön kühl bleibt.
Ihr merkt also, es ist nicht unbedingt einfach, Bier und Glas auf einen Nenner zu bringen. Einen Tipp habe ich aber noch für euch: Solltet ihr bei einer privaten Bierverkostung mal nicht das passende Glas zur Hand haben, könnt ihr auch zum Weinglas greifen! Durch die bauchige, nach oben hin enger werdende Form des Glases können sich darin auch die Aromen des Bieres entfalten. Und falls es dann noch zum Fachsimpeln kommt, habt ihr jetzt immerhin ein bisschen Grundwissen – ich werde damit beim nächsten Familienfest hoffentlich endlich meine Oma beeindrucken können 😉