Das Bier des Mittelalters
500 Jahre Reinheitsgebot, Brauereien in Familienhand und viel Tradition – Bier wird schon seit gefühlt ewiger Zeit (größtenteils) aus denselben Zutaten gebraut: Hopfen, Malz, Hefe und Wasser. Klar, die Biergeschichte beginnt für uns auch irgendwie erst mit dem Reinheitsgebot so richtig. Doch davor herrschten andere Töne in der Bierproduktion: das Bier des Mittelalters wurde mit Kräutern verfeinert. Was sich für Liebhaber des traditionellen Biergenusses wie ein schlechter alkoholischer Tee anhört, erlebt heute in der starken Craft Beer Szene eine wahre Renaissance: Grutbier.
Die Grundessenzen
„Grut“ beschreibt eine Kräutermischung, deren Zusammensetzung von der jeweiligen Region und den Vorlieben des Brauers abhing. Zahlreiche Variationen waren aufgrund der Kräutervielfalt möglich, denn es konnten Schafgarbe, Beifuß, Rosmarin, Thymian, Salbei, Lorbeer, Anis, Kümmel, Wacholder, Wermut und viele weitere verwendet werden. Der Kreativität waren keine Grenzen gesetzt. Zentral waren jedoch zwei ganz bestimmte Sträucher, die heute nicht mehr so geläufig sind: Porst und Gagel. Sie wurden auch als Synonym für Grutbier gesehen, da sie die Basis des Kräuterbiers bildeten und damit den Geschmack erheblich prägten. Beide sind heute noch in Nordeuropa, Nordamerika und generell in küstennahen Gebieten mit hohen Niederschlagsraten zu finden. Porst, auch Sumpfporst genannt, enthält ein ätherisches Öl (Ledumöl), das stark berauschend wirkt und deshalb nur minimal dosiert eingesetzt werden durfte. Gelegentlich wurden auch andere „gefährliche“ Inhaltsstoffe, wie Fliegenpilz, Tollkirsche oder Stechapfel beigefügt, die für ihre halluzinogene Wirkung bekannt waren. Von wegen Kräutertee, das mittelalterliche Bier hatte es ganz schön in sich! Das einzige Problem (vielleicht abgesehen von der Vergiftungsgefahr) war die mangelnde Haltbarkeit, weshalb teils spezielle Kräuter hinzugefügt wurden. Eschenblätter beispielweise sollten mit ihren Bitterstoffen, die eine antibakterielle Wirkung hatten, die Haltbarkeit des Bieres verbessern.
Nicht nur alt, sondern richtig alt
Erste Hinweise deuten auf die Verwendung von Grut bereits im Jahre 974 n. Chr. hin; archäologische Funde bestätigen sogar, dass Gagel schon zur Zeit von Christi Geburt zum Bierbrauen verwendet wurde. Das Grut wurde von einem eigenen Berufsstand – den Grutern – gesammelt, verarbeitet und an die Brauereien verkauft. Bis ins 13. Jahrhundert dominierte diese Art des Bierwürzens, bis schließlich der Hopfen aufkam und sich 1516 mit dem Erlass des Reinheitsgebot weitere Experimente erübrigten. Hopfen konnte sich vor allem aufgrund seiner längeren Haltbarkeit und den niedrigeren Kosten durchsetzen, denn Grutbier war teurer und verdarb so schnell, dass es nicht exportfähig war. Auch geschmackliche Aspekte haben dabei wahrscheinlich eine Rolle gespielt.
Grutbier in Münster
Besonders im Norden Europas erfreute sich Grutbier großer Beliebtheit. Dort sind auch mehr Details und regionale Besonderheiten seiner Geschichte überliefert – zum Beispiel in der Stadt Münster: das Grut wurde dort im Gruthaus vom Grutherrn, dem höchsten Finanzbeamten der Stadt, hergestellt und verkauft. Wer brauen wollte, musste Grut verwenden und das gab es ausschließlich im Gruthaus. Durch das so entstehende Monopol wurde das Bier jahrhundertelang indirekt besteuert. Die exakte Mischung war ein wohl gehütetes Geheimnis, denn sie bewahrte das wertvolle Monopol. Eine heutige Craft Beer Brauerei in Münster hat sich jedoch auf die Suche gemacht und stellt mittlerweile erfolgreich Bier nach der ganz alten Tradition her. Mehr Informationen zu Geschmack, Herstellung und Zutaten findet ihr auf der Website des Gruthauses Münster. Falls ihr neugierig geworden seid, könnt ihr es dort auch gleich bestellen.
Spannend finde ich auch den sprachwissenschaftlichen Hintergrund – wo liegt eigentlich der Ursprung des Wortes „Grut“? Immerhin gibt es eine ganze Wortfamilie dazu. Nach ersten Recherchen konnte ich herausfinden, dass der Wortstamm vermutlich aus Nordeuropa kommt. Finden sich unter den Lesern Sprachwissenschaftler oder anderweitige Experten auf diesem Gebiet? Ich würde mich freuen, wenn jemand was darüber zu erzählen weiß!